Die Prinzipien und Ideen der radikalen Aufklärung reichen in ihrem Kern weit in die Ideengeschichte zurück. In der Zeit der Aufklärung wurden sie indes besonders prägnant formuliert. Seitdem wurden sie kontinuierlich verfeinert und in viele Richtungen weiterentwickelt. Sie stellen die wohl größten gesellschaftlichen Errungenschaften dar, die wir in dem mehr als 2000jährigen Kampf für eine menschenwürdigere Gesellschaft gewonnen haben. Heute, in der Zeit einer radikalen Gegenaufklärung, sind sie im öffentlichen Diskussionsraum praktisch vergessen worden, sie wurden ihrer Radikalität beraubt und sind zu bloßer ‚Aufklärungs‘-Rhetorik politischer Festansprachen verkommen. Dadurch stehen sie uns als Leitideen, mit denen wir unsere Erfahrungen gedanklich organisieren können und mit denen wir unsere Veränderungsenergie kollektiv bündeln und wirksam machen können, praktisch nicht mehr zur Verfügung.
Wir sind nicht nur sozial fragmentiert, wir sind entpolitisiert, wir sind weitgehend in politische Apathie und Resignation getrieben, und wir sind vom Besten unserer sozialen Ideengeschichte entwurzelt worden. Warum? Damit wir politisch orientierungslos bleiben und damit wir vergessen, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Das sind keine Folgen zufälliger Entwicklungen, sondern Erfolge einer jahrzehntelangen systematischen Indoktrination durch die herrschenden Eliten. Mehr als 50 Jahre Elitendemokratie haben uns gezeigt, wohin dieser Weg führt. Es ist der Weg der Zerstörung. Der Zerstörung von Gemeinschaft, der Zerstörung der Idee von Gemeinschaft, der millionenfachen Zerstörung von Leben, der Zerstörung von kultureller und zivilisatorischer Substanz – vor allem in der Dritten Welt – und der Zerstörung unserer ökologischen Grundlagen. Die Nutznießer dieser Zerstörung haben keinen Grund, diesen Weg der Zerstörung zu ändern. Die dazu notwendige Veränderungsenergie kann nur von unten kommen – von uns. Das ist unsere Aufgabe und das ist unsere Verantwortung.
Rainer Mausfeld, „Die Angst der Machteliten vor dem Volk“